Workshop 7: „Barmherzigkeit und Gerechtigkeit – ein Widerspruch?“

Leitung: Fatima Emari (Frauenforum des Islamischen Zentrums) und Dr. Ulrike Röhl (Referentin des kfd-Diözesanverbandes Hamburg, Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands)

Statement Dr. Ulrike Röhl:

Wie stehen Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes zueinander? Sind dies zwei sich widersprechende Eigenschaften Gottes? Oder können und müssen diese zwei Begrifflichkeiten vielmehr zusammen gedacht werden?

Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes sind zwei Wesenseigenschaften Gottes – sowohl im Christentum wie auch im Islam.

Christentum und Islam sind sich darüber einig, dass Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes nicht zwei Gegenpole, die in Konkurrenz zu einander stehen oder sich gar ablösen würden, sind. Die Gerechtigkeit Gottes ist immer identisch mit der Barmherzigkeit Gottes.

Die Barmherzigkeit dispensiert nicht von der Gerechtigkeit, sie löscht diese nicht aus und ist dieser nicht übergeordnet. Es besteht eine unauflösliche Korrelation zwischen Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, die nicht aufgehoben werden kann und darf.

Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes können folglich als „Brücke zwischen den Religionen“ bezeichnet werden.

Impulsreferat Fatima Emari:

Vor dem Hintergrund meiner Ausführungen am Vormittag, widme ich mich hier fokussierter dem Begriff der Gerechtigkeit aus islamischer Perspektive.

Die Frage der Gerechtigkeit Gottes lässt sich auch für den Islam nicht ohne eine Verhältnisbestimmung von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes erörtern:

Nicht nur der Begriff der Gerechtigkeit gehört zu den 99 schönsten Namen Allahs, sondern ebenso Barmherzigkeit und Gnade – Gott ist absolute Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Güte und Gnade ohne zeitliche oder räumliche Begrenzung. Und in all diesen Wesenszügen Gottes sind keinerlei Widersprüche und sie stehen eben nicht dichotomisch zueinander, sondern sie umfassen einander.

Allah trifft dabei im Koran an mehreren Stellen Selbstaussagen, die den zentralen Punkt des Verhältnisses seiner Gerechtigkeit zur Barmherzigkeit verdeutlichen. Exemplarisch: „Meine Strafe trifft, wen ich möchte, und meine Barmherzigkeit umfasst alles“ ( Sure 7, Vers 156).

Alle Muslime sind sich darüber einig, dass die Gerechtigkeit neben der Barmherzigkeit zu den zentralen göttlichen Attributen zählt.

In der schiitischen Rechtsschule ist sie, nach dem Tauhid, nach dem Glauben an die Einzigartigkeit und Einheit Gottes und noch vor dem Prophetentum das zweite zentrale Glaubensprinzip.

Der Gerechtigkeitsbegriff bezieht sich im Koran zwar wesentlich auf die Frage der Gerechtigkeit Gottes beim jüngsten Gericht, impliziert jedoch gleichzeitig wegen der integralen Sichtweise von Gott, Mensch und Welt theologische, ethische, juristische und politische Dimensionen. Dieses werde ich im folgenden ausführen.

Es gibt im Koran mehrere Termini mit unterschiedlichen semantischen Feldern für den Begriff der Gerechtigkeit:

Adl (bezogen auf die Gerechtigkeit Gottes) , quist ( bezogen auf die Soziale Gerechtigkeit) und mizan (bezogen auf die Ausgewogenheit und das rechte ‚Wiegen’; Waage als Metapher für das jüngste Gericht) – all diese Begriffe rekurrieren jeweils auf unterschiedliche Dimensionen der Gerechtigkeit.

Sie kommen also nicht nur in Bezug auf Gott, den erhabenen Schöpfer und das jüngste Gericht in der Metapher der göttlichen Himmelswaage (mizan) vor, sondern sie werden eben auch in anthropologischen Prämissen evoziert.

Allen liegt die Idee zugrunde, dass den Menschen das beste und das gerechteste Urteil erwarten wird.

„Und wir werden Waagen der Gerechtigkeit für den Tag der Auferstehung aufstellen, so dass keine Seele in irgendeiner Weise Unrecht erleiden wird. Und wäre es das Gewicht eines Senfkorns, würden wir es hervorbringen“ (Sure Al-Anbiya 21 – Vers 47).

Der Auftrag des Menschen wiederum , wenn man so will, besteht in der Stellvertreterschaft Gottes auf Erden… Gottes Gerechtigkeit auf Erden zu verwirklichen, sich für Gerechtigkeit einzusetzen, bleibt die zentrale Aufgabe eines jeden Menschen:

„Ihr Gläubigen! Setzt euch für Allah ein und seid Zeugen der Gerechtigkeit. Und der Hass gegen eine Gruppe soll euch nicht verleiten, anders als gerecht zu handeln. Seid gerecht, das ist der Gottesfurcht näher( Sure Al-Maida, 5, Vers 9)“.

Die gesamte Schöpfung und der Mensch als Teil eben dieser Schöpfung werden im Hinblick auf die gerechte göttliche Ordnung interpretiert und der Auftrag, Gerechtigkeit zu

tun, wird als Imperativ formuliert. ‚Khalifa’ (Stellvertertreter) Gottes auf Erden zu sein, enthält diesen Auftrag explizit und implizit und damit erkennen wir ein durchaus positives Menschenbild – Gott traut uns diese Aufgabe zu – denn nach koranischer Aussage hat Gott den Menschen vor der irdischen Schöpfung gefragt und der Mensch war als einziges Geschöpf bereit diese Bürde zu tragen.

Der Begriff der Gerechtigkeit gewinnt also innerhalb dieser Welt und Lebensordnung seine Bedeutung als moralische Qualifikation konkreter Handlungen und Verhältnisse.

Damit ist der Begriff der Gerechtigkeit verankert in der Schöpfung Gottes, in der Natur des Menschen und in den göttlichen Anordnungen, die von Gemeinschaften befolgt werden sollten.

Mit seinen Geboten will es Gott nach islamischer Auffassung dem Menschen nicht schwer machen, sondern eher leicht: „Gott will es euch leicht machen und nicht schwer“ (Sure 2, Vers 185) – Die Angemessenheit der Gebote als Rechtleitung , weniger als Erlösung, wie es im Christentum ist, wird wiederum als Ausdruck seiner Barmherzigkeit gesehen – dabei begegnet uns weniger der richtende Gott vielmehr der barmherzige Gott.

Die Gerechtigkeit Allahs trifft nicht nur die ‚Gesetzeskonformität’ , also das äußere Handeln eines Gläubigen („zahir“) , sondern durchaus seine innere Intention („batin“).

Mit dem relativ ausführlich beschriebenen Bild vom Gericht soll jedoch nicht vordergründig die göttliche Gerechtigkeit unter Beweis gestellt werden, sondern vielmehr haben alle diese Koranstellen einen appellativ- erzieherischen Charakter, denn Gott wendet sich dem ‚sich umkehrenden’ immer wieder zu, eben in seiner absoluten Barmherzigkeit – „Wenn aber einer, nachdem er gefrevelt hat, umkehrt und sich bessert, wendet Gott sich ihm (gnädig) wieder zu. Gott ist barmherzig und bereit zu vergeben“ ( Sure 5, 39).

Es geht schlussendlich nicht um die konkrete Belohnung bzw. Bestrafung sondern vielmehr um die Vervollkommnung bzw. die Läuterung des Menschen.

Gott fordert im Islam den Menschen auf, in seinen Lebensvollzügen gerecht zu handeln im Sinne eines Balance-Prinzips der Reziprozität und Gleichberechtigung in den menschlichen Beziehungen.

Mit dem Einhalten der Gebote trägt der Mensch aktiv zur Verwirklichung der Gerechtigkeit Gottes bei, was den Glauben entscheidend mit dem Gemeinwohl der Menschen verbindet.

Vor allem steht der Begriff der Gerechtigkeit, wenn man eine Dichotomie betrachten will, dichotomisch zum Begriff des ‚Unrechts’ und der ‚Tyrannei’ – zulm (womit durchaus auch das Unrecht des Menschen gegen sich selbst gemeint sein kann). Darunter werden alle Taten und Zustände verstanden, die das Zusammenleben der Menschen stören oder zerstören, worunter zunächst rein persönliche Tugenden/ bzw. im Umkehrschluss die jeweiligen Untugenden zu Gerechtigkeit, Geduld, Toleranz etc. fallen.

Sie spiegeln sich in dem Einbringen des Einzelnen auf allen gesellschaftlichen Ebenen wie Jurisprudenz, Handelsbeziehungen und noch weiter in der Gestaltung der Politik wider.

Und alles ist umfasst und getragen von der Barmherzigkeit Gottes.

Quellen:

Ayatollah Dr. Reza Ramezani (2014): Der Islam – eine Religion der Spiritualität, Ethik, Vernunft, Gerechtigkeit und Toleranz (S.43-56). In: Das Gewaltpotenzial der Religionen. Wunn;I. & Schneider, B.(Hrsg).

Tanja Wettach-Zeitz (2008): Ethnopolitische Konflikte und interreligiöser Dialog.

Die Interpretation des Begriffes „Gerechtigkeit“ im Judentum, Islam, Orthodoxie und Katholizismus (S.152-160)