Hamburg, 14.12.2020
In der katholischen Kirche lernen wir gerade auf der Seite der Betroffenen zu stehen. Die Stimmen der von sexuellem Missbrauch Betroffenen wurden lange Zeit zum Verstummen gebracht. Es galt, das Ansehen der Institution Kirche nicht zu gefährden. Diesem Ansinnen wurde alles untergeordnet. Die Folge war Vertuschung, Geheimniskrämerei, Verschweigen in großem Umfang. Nun ist das Schweigen weitestgehend gebrochen. Immer mehr Untersuchungen bringen das Elend des sexuellen Missbrauchs ans Licht. Mächtige wurden und werden benannt, die Medien sind voll davon.
Meine Kirche gibt ein schräges, ungutes Bild in der Öffentlichkeit ab. Ich möchte mich fremd schämen, dass ich da dazu gehöre.
Ähnliches sagte mir eine muslimische Freundin, auch sie möchte sich fremd schämen…
Ich betrachte das Ganze aus der protestierenden Position von Maria 2.0. Die umfassende Aufklärung des Missbrauchs ist eine unserer wichtigsten Forderungen. Es gilt, die männerbündischen Strukturen zu durchbrechen. Täter wurden eher als Mitbruder gesehen, dem die Sünden zu verzeihen sind, als dass den Betroffenen zugehört wurde. Ein Weg, dieses männerbündische Verhalten zu unterbrechen, ist eine geschlechtergerechte Kirche.
Wenn Religionsführer jetzt finden, der Islam müsse Stellung beziehen, dann ist das auch ein Machtkampf. Wenn solche Stellungnahmen dann mit dem lapidaren Satz enden auch im Christentum gibt es Fragen, die gelöst werden müssen, dann werde ich wütend. Dazu habe ich keine Lust mehr.
Alle Religionen sind aufgerufen zu schauen, was für Potentiale für Unterdrückung bei ihnen vorhanden sind. Dabei sind die gesellschaftlichen Realitäten keinesfalls auszublenden. Gewalt entsteht nicht im luftleeren Raum.
Alle Religionen sind von ihren Stiftern her friedfertig. Ich frage mich, welche geschichtlichen Prozesse sind in den Blick zu nehmen, um das Phänomen der Entstehung von Ausgrenzung, „wir und die da“, was schnell in Gewalt umschlägt, in den Blick zu bekommen?
Hilft da der Blick auf die Opfer der Geschichte?
Eva-Maria Schmitz